Dies ist die Geschichte von Mohamed:
gesprochen von Christian Brand:
Mein Leben mit der Duldung
Ich bin Mohamed, geboren am 13.10.1996 in Essen-Steele. Seit meiner Geburt in Deutschland habe ich nur eine Duldung!
Ich bin bis zur 4. Klasse auf die Karl-Schule in Altenessen gegangen, dann auf eine weiter führende Schule. In der 9. Klasse habe ich parallel zur Schule ein Praktikum bei einer großen Firma begonnen. Das bedeutete, dass ich an 2 Tagen in der Woche dort Praktikum machte und an 3 Tagen am Schulunterricht teilnahm. Im weiteren Verlauf habe ich bei dieser Firma eine Ausbildung machen können und habe heute einen Gesellenbrief als Maler und Lackierer.
Alle 6 Monate muss ich in der Ausländerbehörde meine Duldung verlängern. Es war auch keineswegs selbstverständlich, dass ich meine Lehrstelle bei dieser Firma bekam – auch hier hat man gezögert, weil ich ja gemäß meiner Duldung „ausreisepflichtig“ bin. Wie soll sich ein Betrieb auch auf einen Menschen einlassen, der möglicherweise nach 6 Monaten abgeschoben wird?
Die Ausländerbehörde hat mittels Ahnenforschung herausgefunden, dass ich türkischstämmig bin. Mein Großvater hat einen türkischen Namen. Ich aber habe Deutsch als Muttersprache gelernt, meine Eltern sprechen Arabisch. Diese Sprache kann ich auch ein wenig verstehen und sprechen, aber Türkisch verstehe ich kein Wort, geschweige denn, dass ich das sprechen könnte. Um einen Aufenthaltsstatus jenseits der Duldung zu bekommen, müsse ich erst die türkische Staatsbürgerschaft beantragen und erhalten, wurde mir seitens der Ausländerbehörde mitgeteilt. Darauf habe ich mich auch eingelassen und war mehrfach beim türkischen Konsulat, um einen türkischen Pass zu beantragen. Dort hat man mir das verwehrt, war dann aber nicht bereit, mir das schriftlich zu geben. Das aber fordert die Ausländerbehörde ein. Somit bin ich in einer Zwickmühle gelandet, aus der ich mich mit eigener Kraft nicht herausbegeben kann. Im Ergebnis habe ich nach wie vor eine Duldung, bin „ausreisepflichtig“. Dabei bin ich doch hier in Essen geboren.
Ich bin aufgewachsen in Essen und respektiere die Gesetze dieses Landes. Dennoch fühle ich mich fremd in diesem Land, ausgeschlossen von vielem, was für Andere, mit denen ich zusammen aufgewachsen bin, selbstverständlich ist. Klassenfahrten sind ein Problem gewesen oder die Teilnahme war nicht möglich. Urlaubsreisen: nicht machbar. Wenn ich eine Prüfung in meiner Ausbildung oder auch im Zusammenhang mit der Schule ablegte, musste ich immer meine Duldung vorzeigen und es war in diesen Momenten nicht selbstverständlich, dass ich daran teilnehmen durfte. Einen Handyvertrag abzuschließen: nicht möglich. Einen Kredit aufzunehmen, wofür auch immer: nicht möglich. Ich arbeite in einer großen Firma, die auch international tätig ist, beispielsweise in Finnland. In das Ausland zu fahren, um dort für die Firma tätig zu werden: nicht möglich.
Ich habe eine Zeit lang versucht, mich politisch einzubringen. In dieser Zeit habe ich auch mit vielen Bürgerinnen und Bürgern über das Thema Duldung gesprochen. Nahezu alle fanden es falsch, dass ich mit der Duldung leben muss ...und doch: es hat sich nichts geändert. Ich bin der Meinung, dass eine ganze Generation junger Menschen diesem Land verloren zu gehen droht, wenn sich an dieser Situation nichts ändert. Wie sollen Menschen, die in der selben Situation sind wie ich, also hier in Deutschland geboren, verstehen, dass sie derart ausgegrenzt werden und alle 6 Monate zur Ausländerbehörde müssen, um die Duldung zu verlängern, während Kriegsflüchtlinge ohne Umstände einen Aufenthaltstitel bekommen, der 3 Jahre Gültigkeit besitzt.
Ich habe mittlerweile jedes Vertrauen in die Politik verloren. Schon vor Jahren habe ich von Politikern die Aussage gehört, man wolle sich darum kümmern: nichts ist passiert. Ich fühle mich im Stich gelassen.